5.12.2023

Der "gefangene" Kardinal: Eine Anektode aus der Chronik

Priesterweihe des Redemptoristenpaters Wendelin Seper in der Marienkirche in Wien-Hernals durch Kardinal Theodor Innitzer.


Erzbischof Kardinal Theodor Innitzer

P. Wendelin Seper (2005)

Marienkirche - Innen

Marienkirche der Redemptoristen - Zeichnung

Dieser ungewöhnliche Weihetermin, am Palmsonntag des Jahres 1949 um 7 Uhr früh in der Marienkirche in Wien - Hernals, durch den damaligen Erzbischof Kardinal Theodor Innitzer, der ja anschließend noch die Palmweihe und Prozession in St. Stephan zu zelebrieren hatte, zeigt mehr als es Worte könnten, die einmalige Volksnähe dieses Bischofs.

Jeder der die kirchlichen Verhältnisse in der Wienerstadt einigermaßen kennt weiß ja, dass Palmweihe, Weihnachtsmette, Fronleichnam, Aschermittwoch und Blasiussegen die meistfrequentiertesten religiösen Veranstaltungen sind.

So versammelte sich in der geräumigen Sakristei der Marienkirche, die ja auch Klosterkirche der Redemptoristenkongregation ist, bereits nach 6 Uhr eine große Zahl an Mitbrüder des Weihekandidaten aus Kloster und Ordensprovinz sowie eine große Schar von Ministranten, Bannerträgern der Jugend, Vertreter der kirchlichen Organisationen neuen und alten Stils mit ihren schweren, reichbestickten Traditionsfahnen zum bevorstehenden Empfang des Bischofs am großen Kirchentor. Plötzlich ein Aufschrei aus der Kirche kommend: „Der Herr Kardinal steht vor dem Kirchentor und kann nicht herein“! Tatsächlich war Kardinal Innitzer, bekannt durch seine Überpünktlichkeit, an die fünfzehn Minuten vor sieben Uhr bereits eingetroffen. Die wahre Ursache lag wohl an der Terminplanung der beteiligten Sekretariate, die nach dem Prinzip “des moch ma schon“ den nächsten Termin des Kardinals die Palmweihe um 9 Uhr im Stephansdom unterschätzt hatten. Blitzartig setzte sich jedenfalls das alarmierte Empfangskomitee mit wehenden Fahnen von der Sakristei durch das Seitenschiff der Kirche, alle Liturgen im feierlichen Schreitschritt ausgebildet, nunmehr im Laufschritt in Richtung Haupttor in Bewegung. Zu allem Überfluss wurde in der Hektik auch der Schlüssel des Haupttores nicht gefunden. Vermutlich war dieser wegen der damals üblichen Palmsonntagsliturgie, bei der ja die Palmprozessionsteilnehmer beim Einzug in die Kirche vor dem versperrten Kirchentor anzuklopfen hatten, an einer bestimmten Stelle in der Nähe des Tores hinterlegt gewesen.

Der ganze Pulk kam natürlich zu spät, Kardinal Innitzer war bereits in Begleitung seines Zeremoniärs und des Chauffeurs durch den Seiteneingang in die Kirche eingetreten und schritt freundlich lächelnd, den zahlreichen Gläubigen den bischöflichen Segen spendend, im Mittelgang zum Hochaltar. Daher blieb dem Empfangskomitee nichts anderes übrig, als dass Fahnenträger, Ministranten und die gesamte Assistenz dem Kardinal hinterher stürmten. Als Zeitzeuge hatte ich schon damals den Eindruck, dass Kardinal Innitzer die ganze Szene durchaus genoss, da ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht huschte. 

Leider war das Missgeschick damit aber noch nicht zu Ende.

Der Kardinal begab sich zum vorbereiteten Tisch im Altarraum mit den bischöflichen Paramenten, um sich nun, bereits als Teil der Liturgie, anzukleiden. Dazu war so wie bei jedem Priester Alba, Zingulum, Schultertuch, Kasel, Stola, und Manipel vorbereitet. Zusätzlich trägt der Bischof zum Zeichen seiner Würde auch Pallium, Mitra, Hirtenstab und unter dem Messkleid (Kasel) auch eine Damaltik bzw. Tunicella (litugische Kleidung der Diakone/früher Subdiakone) zum Zeichen der “Fülle des Weiheamtes“. Genau diese Tunicella wurde nun in dieser feierlichen Liturgie der Priesterweihe zum Auslöser der folgenden Misere.

Die Tunicella, unter dem Messkleid getragen, wird in der Regel aus einem ganz leichten Seidenstoff geschneidert, damit der Bischof nicht zusätzlich zum Gewicht des ganzen Ornates belastet wird. Der Sakristan der Marienkirche war Frater Bruno, er glänzte durch Verlässlichkeit, Fleiß und besondere Frömmigkeit. Da natürlich sehr selten ein Bischof in “seine Kirche“ kam, hatte er die besonders feine und leichte Tunicella bereits Wochen vor dem Weihetermin zu spezialisierten Ordensfrauen zur Putzerei gebracht. Diese reinigten und bügelten fachmännisch das kostbare Kleidungsstück. Dazu mussten sie den feinen Seidenstoff am Kragen und den Ärmeln zusammenheften. Leider vergaßen sie vor der Lieferung die Heftfäden wieder zu entfernen. Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Kardinal Innitzer, der die Paramente ja öffentlich vor dem ganzen Volk im Altarraum anlegte, war problemlos bis zu Alba gekommen als er beim Anziehen der Tunicella mit dem Kopf und den Händen stecken blieb, weder vor noch rückwärts konnte und sich vergeblich zu befreien suchte. Der erzbischöfliche Zeremoniär versuchte verzweifelt die Tunicella dem Bischof über den Kopf zu ziehen, was natürlich nicht gelang, sodass dieser verzweifelt mit den Händen ruderte und auch diese nicht frei bekam. Die gesamte geistliche Assistenz erstarrte zur Salzsäule und bot ein Bild der Hilflosigkeit, da ihnen ja der wahre Grund des Missgeschicks offenbar nicht sofort klar war. Lediglich ein einziger Mann in Zivil, nämlich der Chauffeur des Bischofs, erfasste die Situation und sprang blitzartig in einem Satz aus der ersten Bankreihe des Volkes in den Altarraum und riss mit Brachialgewalt Kragen und Ärmelöffnungen mit bloßen Händen ruckartig auf und befreite so seinen Chef aus seiner Zwangsjacke.

Der Chronist des Klosters vermerkte lediglich lapidar, dass die Messfeier mit Priesterweihe trotz der sehr langen Lesung der Leidensgeschichte des Palmsonntags kurz nach acht Uhr abgeschlossen war, sodass der Herr Erzbischof pünktlich zur feierlichen Palmweihe in die Dompfarre St.Stephan zurückfahren konnte.

Der Neupriester Pater Wendelin Seper spendete abends nach der Segensandacht noch stundenlang an unzählige gläubige Menschen bis weit in die Nacht hinein den Primizsegen. Für einen Primizsegen sollte man ja so weit gehen bis ein paar Schuhe zerreißen. Seine Primizmesse feierte er am darauffolgenden Sonntag, es war der Ostersonntag, in seiner Heimatgemeinde Unterwart im Burgenland.

Dr. Emil Knotzer, Hernals

Der Beitrag erscheint auch im SONNTAG (Zeitung der ED Wien).


Von: plv